Flüchtlingsgräber auf dem Theaterplatz: „Lampedusa 361“ ist ein Aufschrei der Humanität
VON MICHAEL ERNST
Dresden ist einmalig. Sagen die Dresdner. Dresden ist derzeit vermutlich die einzige Kunststadt in Deutschland, wo Kunst im öffentlichen Raum polizeilich beschützt werden muss. Ist Dresden Kulturstadt?
Natürlich ist Dresden Kulturstadt, auch wenn in diesen Tagen so manches dagegen spricht. Die Trillerpfeifen und das Geblöke jüngst auf dem Neumarkt etwa – mit Kultur hatte das nichts gemein, auch nicht mit menschlicher Bildung, schon gar nicht mit Anstand.
Das „Monument“ von Manaf Halbouni steht ebenso im Kontrast zur Fassadenwelt rund um die Frauenkirche, wie nun die temporäre Installation „Lampedusa 361“ auf dem Theaterplatz mit dem Reiterstandbild und der Semperoper kontrastiert. Beide Projekte ergänzen einander, denn sie haben mit dem Leid zu tun, das Menschen Menschen zufügen. Beide Projekte sollen zu Diskussionen und Nachdenken anregen – just um den 13. Februar ist der Anlass dazu in besonderer Weise gegeben, wenn Dresden der eigenen Zerstörung gedenkt, die ein Resultat der von Deutschland entfesselten Weltkriege gewesen ist. Von Deutschland, deutschen Tätern und von deutschen Mitläufern auch.
Beim Wort Lampedusa denkt man schon längst nicht mehr an die traumhafte Insel im Süden Italiens, sondern an Flüchtlingsströme und namenlose Opfer. Aber reden wir lieber von Menschen, von Kindern, Frauen und Männern, die hier gestrandet sind auf der Flucht vor Kriegen und anderer Gewalt. Wenn sie denn Glück hatten, bis hierher gekommen zu sein.

Viele Gräber bleiben namenlos, weil die Ertrunkenen nicht mehr identifiziert werden konnten. Hier wird an das 361. Todesopfer eines einzigen Tages erinnert.
Fotos: Dietrich Flechtner

Blick von oben auf die gesamte Ausstellung auf dem Theaterplatz.
Allein im vergangenen Jahr 2016 hatten mehr als 5000 Menschen nicht dieses Glück und sind „auf der Strecke geblieben“, was in diesem Fall heißt, ertrunken im Mittelmeer.
Heidrun Hannusch, die sich mit ihrem Engagement rund um den Dresden-Preis großen Respekt verdient hat – an diesem Sonntag erhält ihn in der Semperoper Domenico Lucano, der Bürgermeister des kalabresischen WIllkommensortes Riace –, sie geht in diesem Jahr noch einen Schritt weiter.
Mehr als zwei Dutzend Friedhöfe auf ganz Sizilien hat sie besucht, Friedhöfe, auf denen die Toten des Mittelmeers beigesetzt worden sind, weil der Platz auf Lampedusa für sie schon längst nicht mehr ausreicht. Daher ruhen die Gebeine von Ertrunkenen nun sogar in küstenfernen Bergdörfern – fern der Heimat dieser Menschen, fern ihrer erhofften Zukunft. Die Fotografen Oliver Killig (Dresden) und Carsten Sander (Berlin) sind Hannuschs Idee gefolgt und haben zahlreiche Gräber von auf der Flucht ums Leben gekommenen Menschen auf Lampedusa und Sizilien fotografiert. Sie sind dazu quer über die Inseln gezogen, haben aber längst nicht alle derartigen Friedhöfe besucht. Zu viele sind es inzwischen.
Jede einzelne Grabplatte, jeder Grabstein dieser zumeist namenlos gebliebenen Toten (viele der Ertrunkenen konnte man nicht mehr identifizieren) ist ein steinerner Aufschrei, sollte uns alle innehalten lassen. Die großflächigen Abzüge dieser Fotografien sind im Kreis auf dem Theaterplatz platziert, Dresdens Oberbürgermeister Hilbert sprach zur Eröffnung davon, wie beschämend es ist, dass dieses Memorial umzäunt werden muss.
Heidrun Hannusch hat jedem Foto einen kurzen Text zur konkreten Geschichte dieser Flüchtlingsgräber beigefügt, man sollte sich unbedingt die Zeit für diese sprachlos machende Lektüre nehmen. Sprachlos macht auch das Faktum, dass im 21. Jahrhundert Menschen sterben müssen, weil sie auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben sind. In einem von der Sängerin und Regisseurin Annette Jahns vorgetragenen Brief der Bürgermeisterin von Lampedusa wurde dies auf den Punkt gebracht.
Wer darüber nachdenkt, wird erkennen, dass Lampedusa nicht fern ist, dass menschliches Leid alle Menschen angeht. Überall auf der Welt. Ob aus vermeintlicher Gedenkkultur eine gedankenlose Unkultur wird, das werden die für morgen geplanten Aufmärsche in Dresden zeigen.
Dresden ist einmalig. Sagen inzwischen nicht nur die Dresdner. Einmalig wegen der menschenverachtenden Fremdenfeindlichkeit und des lautstarken Unverstands, der inzwischen sogar (wieder!) mit Morddrohungen einhergeht, einmalig als Kunststadt, in der Kunstwerke schon bei ihrem Aufbau polizeilich beschützt werden müssen. Einzigartig aber auch wegen des Engagements einer Heidrun Hannusch, eines Manaf Halbouni sowie ihrer zahlreichen Helferinnen und Helfer.
Appell
Mit einer eindringlichen Botschaft haben sich 16 Dresdner Kultureinrichtungen gegen die immer aggressiver werdende Stimmung in der Stadt zu Wort gemeldet und somit ihre Solidarität gegenüber Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) ausgedrückt, der im Zuge rund um die beiden Kunstinstallationen („Monument“ und „Lampedusa 361“) sowie der Gedenkthematik um den 13. Februar Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt ist. Die Intendanten von Dresdner Philharmonie, Kreuzchor, Theater Junge Generation (tjg), Staatsschauspiel, Staatsoperette, Staatsoper, Dresdner Musikfestspiele, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, Heinrich- Schütz-Konservatorium Dresden, Kabarett Breschke & Schuch, Theaterkahn, Societaetstheater, Mimenbühne, riesa efau und Hoftheater unterzeichneten folgenden Appell:
„In den Drohungen und in der Hetze gegen den OB Hilbert bricht sich eine Entwicklung Bahn, der wir entgegentreten müssen. In der Geschichte unseres Landes gab es immer wieder Zeiten, in denen das Gemeinwohl durch engstirnig bornierte Hassredner und Demagogen in Gefahr geriet. Geschieht es heute, in einer funktionierenden Demokratie, muss uns klar sein, dass wir uns deutlich zu den Werten bekennen müssen, die ein gesundes Gemeinwesen am Leben erhalten: Achtung vor dem Anderen, Handeln im Geiste unserer Verfassung, Verteidigung des Guten. Hass und Verachtung fällt auf die zurück, die eben diese Saat ausstreuen. Sie entlarven sich so als Gefährder unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. Wir solidarisieren uns mit Oberbürgermeister Dirk Hilbert.“